Beschaffungslogistik in volatilen Märkten

Beschaffungslogistik in volatilen Märkten

Publiziert am Autor: Felix Graf

Das Umfeld auf den Beschaffungsmärkten verändert sich ständig. Fast täglich sehen sich die Einkaufsabteilungen mit wechselnden Rahmenbedingungen konfrontiert. Effektiv angewendete Grundlagen der Beschaffungslogistik können helfen, die Versorgung zu kostenoptimalen Bedingungen sicherzustellen.

Volatile Marktbedingungen sind  kein Sinnbild der heutigen Zeit. Diese gab es schon vor 400 Jahren. Man erinnere sich nur an die «Tulpenmanie» in Holland. In den 1630er-Jahren wurden Tulpenzwiebeln zum Spekulationsobjekt und die Preise stiegen in astronomische Höhen, bevor der Markt Anfang Februar 1637 abrupt einbrach. Wie gehen wir heute im Rahmen der Beschaffungslogistik mit Volatilität und Veränderungen um?

Unter Beschaffungslogistik sind sämtliche Massnahmen im Zusammenhang mit der Bereitstellung der Materialien für das Produktions- bzw. Verkaufsprogramm zu verstehen. 
Die Auswirkungen der Beschaffungslogistik schlagen sich typischerweise nicht direkt in den Einkaufspreisen nieder, sondern beeinflussen das Ergebnis der Firma über das Umlaufvermögen. Die darin enthaltenen Lagerbestände binden erhebliche finanzielle Mittel. Diese gilt es zu optimieren, unter gleichzeitiger Sicherung der Versorgung.

Volatiles Marktumfeld

Einerseits schreitet die Globalisierung weiter voran. So werden unter anderem seit 2013 Projekte der Volksrepublik China unter der Bezeichnung «Belt and Road Initiative (BRI)» gebündelt, die dem Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen China und über 60 weiteren Ländern Asiens, Afrikas und Europas dienen. 

Des Weiteren werden neue Beschaffungsmärkte aufgrund vereinfachter Transportwege und verkürzter Wiederbeschaffungszeiten plötzlich attraktiver beziehungsweise wettbewerbsfähiger. 
Demgegenüber steht ein regulatorisches Umfeld, welches sich rasch ändert. So zum Beispiel Handelsbarrieren (USA-China). Es gibt weitere Einflussfaktoren, die die Materialströme beeinflussen können. Krankheitserreger wie aktuell in China, geopolitische Ereignisse oder Naturgewalten sind einige Beispiele. Steigende Umweltabgaben auf Produktion und Transport sind andere Kostentreiber.
Dazu kommen schon fast alltägliche Schwankungen von Angebot und Nachfrage, Wechselkursen sowie Preisveränderungen bei den Ausgangsrohstoffen wie beispielsweise Erdöl und Metallen. Was kann das nun für den Einkauf bedeuten?

Chancen und Risiken

Für ein Unternehmen können sich neue Absatzmärkte öffnen und damit zu erhöhtem Bedarf führen. Hier muss ein guter Informationsfluss sichergestellt sein, um notwendige Änderungen in der Planung zu berücksichtigen. Denn: die Grundlage einer guten Planung sind Informationen!

Auf der Beschaffungsseite werden sich neue Märkte erschliessen lassen. Systematische Beschaffungsmarktforschung und Benchmarking können die Potenziale aufzeigen. Diese Chancen gilt es zu nutzen.

Schwankungen bei Kosten von Material, Verpackungen und Transport wie auch bei Währungen wird man, wo sinnvoll machbar, versuchen, über Verträge abzusichern. Diese bieten sich grundsätzlich auch zur Sicherung der Versorgung an. Aber Risiken aufgrund von Unterbrüchen in der Versorgungskette können nicht immer effektiv reduziert werden. Es wird vielmehr darum gehen, die möglichen Auswirkungen auf ein für die Unternehmung tragbares Mass zu minimieren. 

Mittel- bis langfristig wird man über den Aufbau von alternativen Lieferanten respektive Materialien das Risiko reduzieren können. Häufig ist dies jedoch mit einem mehr oder weniger langen Qualifikationsprozess verbunden. Das heisst, bei kurzfristig auftauchenden Versorgungsschwierigkeiten greifen diese Massnahmen zu wenig.

Die wohl effektivste Methode zur Versorgungssicherung sind Vorräte (inklusive Sicherheitsbeständen), die unmittelbar verfügbar sind. Jedoch kostet Lagerhaltung Geld und benötigt Platz. Deshalb sind die Möglichkeiten dieser Art der Absicherung limitiert. Ein sinnvoller Kompromiss zwischen Aufwand und Sicherheit muss angestrebt werden. 

Optimierte Lagerbestände

Es gilt also im Spannungsfeld von Versorgungssicherung, meist begrenztem Lagerraum und finanziellen Vorgaben (Net Working Capital / NWC) kostenoptimale Lösungen zu finden.
Optimale zyklische Lagerbestände können mit Hilfe der «Andler-Formel» berechnet werden. Dabei werden Faktoren wie Jahresbedarf, Lagerkostensatz, Preis des Materials und Bestellkosten berücksichtigt. Solche Daten helfen dem Einkauf, mit anderen Fachbereichen in der Unternehmung zahlen- und faktenbasierende sachliche Diskussionen zu führen. Die Entscheide über die Höhe der Lagerbestände sollen ja nicht nur von finanziellen Zielwerten geleitet werden.

Zur effizienten Berechnung braucht es keine speziellen EDV-Programme, eine mit entsprechenden Formeln hinterlegte Excel-Datei erfüllt den Zweck in der Praxis. Dabei können sogar noch weitere Faktoren wie zum Beispiel Staffelpreise bei unterschiedlichen Bezugsmengen berücksichtigt werden.

Eine wichtige Rolle nimmt der Sicherheitsbestand ein. Dieser sichert die Versorgung bei erhöhtem Bedarf während der Wiederbeschaffungszeit (WBZ), bei verspäteten Lieferungen und auch bei Mindermengen.

Die Höhe des Sicherheitsbestandes kann auf verschiedene Arten berechnet werden. Die WBZ ist jedenfalls ein entscheidender Faktor. Deshalb ist es unabdingbar, dass bei längeren Lieferfristen der Sicherheitsbestand erhöht wird. Umgekehrt muss dann aber auch bei sich verkürzenden Lieferzeiten eine Anpassung nach unten stattfinden.

Sicherheitsbestände müssen nicht zwingend in der eigenen Unternehmung gehalten werden. Es bieten sich auch externe Möglichkeiten bei Lieferanten und Lagerhäusern an. Mit einem Konsignationslager kann man zudem das NWC positiv beeinflussen. In diesem Zusammenhang bietet es sich auch an, die sogenannten «Ladenhüter» zu eliminieren. Das schafft Lagerplatz und setzt NWC frei. 

Wenige, aber aussagekräftige Kennzahlen wie die «Lagerreichweite» dienen der Kontrolle und Steuerung der Bestände.

Fazit

Auch wenn das Umfeld sich immer weiter verändert, die wichtigsten Grundsätze im Einkauf behalten nach wie vor ihre Gültigkeit, so auch in der Beschaffungslogistik. Veränderungen müssen angemessen berücksichtigt werden, aber das Grundgerüst bleibt bestehen.

Mit dem Fachwissen und der Erfahrung des Einkaufs können die Grundlagen der Beschaffungslogistik an die Erfordernisse der Unternehmung und die sich stetig verändernden Marktbedingungen angepasst werden.


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Felix Graf

Der Autor ist Global Category Manager bei der Sika Services AG. Er ist zuständig für Akquisitionen, Lieferanten Risiko- und Sustainability Management. Der eidgenössisch diplomierte Einkaufsleiter ist Dozent für Beschaffungslogistik bei procure.ch.