Auf dem Weg zu einer barrierefreien Logistik
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Der Apfel zum Frühstück mag noch aus der Region stammen. Doch wie sieht es mit Avocado, Fernseher, Kühlschrank oder Gartenstuhl aus? Im Alltag nutzen wir unzählige Dinge, die eine weite Reise hinter sich haben. Insgesamt wurden 2019 – der jüngste verfügbare Zeitraum – mehr als 27 Milliarden Tonnenkilometer an Gütern und Waren durch die Schweiz transportiert – eine Zahl, die so hoch wie wenig greifbar ist. Dieser Transportstrom ist der Pulsschlag unseres Lebensstandards, er sichert die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie und verbindet uns mit den Märkten der Welt.
Die Auswirkungen der globalen Vernetzung erfahren wir täglich auch auf Schweizer Strassen am eigenen Leib: kilometerlange Lastwagen-Kolonnen, Staus und ein überlastetes Strassennetz. Die Güterverkehrsleistung auf der Strasse wuchs zwischen 1990 und 2019 dreimal so stark wie jene auf der Schiene. Das Stauaufkommen verdoppelte sich im selben Zeitraum. Rund 80 Prozent des Güterverkehrs (Import, Export und Binnenverkehr) rollen heute über den Asphalt. Und eine Trendwende ist nicht abzusehen.
Mehr klimafreundliche Transporte
Eine Entwicklung, die weder nachhaltig noch zukunftsfähig ist. Die weiter steigende Nachfrage im Onlinehandel und das damit verbundene Versandaufkommen bringen das bestehende System schon heute an die Belastungsgrenze. Und laut Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) wird der gesamte Warenverkehr bis 2040 weiter zunehmen.
Auch aus einem anderem Grund ist das wachsende Ungleichgewicht zugunsten der Camions auf den Schweizer Strassen problematisch. Sie verursachen pro Kilometer deutlich höhere Luftschadstoffemissionen als Zug oder Auto. Bei den Emissionen von Treibhausgasen liegen sie mit 111 Gramm pro Tonnenkilometer deutlich vor dem Schienengüterverkehr (17 g/tkm) und den Binnenschiffen (30 g/tkm). Damit benötigt der Güterzug etwa 20 Prozent weniger Energie und verursacht rund 15 Prozent der Emissionen. Wollen wir die Klimawende in den Griff bekommen, müssen wir umdenken.
Der Schienenverkehr hat das Potenzial, aktuelle und künftige Probleme zu lösen – ökonomisch wie ökologisch. 40 Prozent des Schweizer CO2-Fussabdrucks – rund 14,7 Millionen Tonnen – stammen aus dem Verkehrssektor. Mehr Güterverkehr könnte diesen Anteil deutlich verringern.
Um die Trendwende einzuleiten und den Warentransport nachhaltig zu gestalten, müssen wir unsere Güter auf die Schienen bringen. Dafür braucht es im Schienennetz deutlich mehr Kapazitäten. Im europäischen Vergleich steht die Schweiz gut da. 40 Prozent der Güter werden bereits über die Schiene transportiert. In Deutschland sind es lediglich 19 Prozent, in Österreich 25 Prozent. Das überaus fortschrittliche Schweizer Schienennetz ist zudem als weltweit erstes Schienennetz vollständig elektrifiziert. Wenn Züge Strom aus regenerativen Energiequellen nutzen, ist der klimaneutrale Güterverkehr perfekt.
Intermodalität löst Probleme
Engpässe lassen sich jedoch nicht allein durch einen Ausbau des Netzes vermeiden. Wir müssen vor allem das Konzept eines intermodalen Verkehrs ausbauen, der in der Lage ist, vorhandene Potenziale auszuschöpfen, bestehende Schwachstellen auszugleichen und den Transportsektor zukunftssicher zu gestalten. Denn die Strasse allein verliert zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit, auch jenseits von drängenden Klimafragen: Strassentransporte sind weniger automatisiert und personalintensiver als der Schienenverkehr. In Verbindung mit der Schiene aber kann sie ihre Stärken etwa auf der letzten Meile auch künftig ausspielen.
Hier stellt sich jedoch die Kompatibilitätsfrage. Der überwiegende Anteil an Konsumprodukten, Industriebedarf und Waren wird nicht in Güterwaggons transportiert, sondern in Trailern. Für den Laien ist ein Lastwagen ein Lastwagen, für den Transportunternehmer ist er eine Zugmaschine, die einen Trailer zieht. Er ist die gemeinsame Plattform des europäischen Warenstroms. Doch genau das stellt eine Hürde für heute gängige Transporttechnologien dar: Mehr als 90 Prozent der Trailer in Europa lassen sich aufgrund technischer Barrieren nicht von der Strasse auf die Schiene bringen. Denn die grossen Terminals und Umschlagplätze sind für Seecontainer konzipiert, nicht für die Auflieger der Camions. Und selbst bei jenen Trailern, die kompatibel sind, können lange Wartezeiten bestehen an den Terminals, der Personalbedarf ist gross, die Anlagen sind aufwendig und teuer.
Einfachere Kombination nötig
Noch immer legen die meisten Trailer Distanzen deshalb einzig auf der Strasse zurück. Die Situation ist verfahren. Dem landgebundenen Güterverkehr steht ein teures Schienenverladesystem gegenüber, das für Seecontainer entwickelt wurde. Darüber hinaus fehlen Umschlagplätze, Infrastruktur zur Verladung und Barrierefreiheit. Denn für kurze Wege und geringe Mengen, die zumeist von kleinen Unternehmen durchgeführt werden, lohnen sich keine Investitionen.
Die Gründe, warum der intermodale Güterverkehr sein theoretisches Potenzial bislang nicht ausschöpft, liegen also tief. Die Kombination von Zug und Strasse muss vereinfacht werden. Ein intermodaler Transport muss für kleinere Speditionen und geringere Stückzahlen logistisch möglich und wirtschaftlich rentabel werden. Die gute Nachricht: Die technologischen Lösungen hierfür existieren bereits. Mit neuen horizontalen Verladetechniken können auch nicht kranbare Trailer bequem und einfach umsteigen. Hierfür sind weder Krananlagen noch Terminals in der Grösse von Kleinflughäfen notwendig, es reicht ein Netz an kleinen Trailerbahnhöfen.
Barrierefreien Verkehr ermöglichen
Notwendig ist der strukturpolitische Wille, einen technologischen Fortschritt der Transportbranche durch klare ökologische Rahmenbedingungen zu fordern – und durch einen diskriminierungsfreien Wettbewerb zu fördern.
Wenn wir jetzt in diese Technologie investieren und den momentanen Strassengüterverkehr in eine neue barrierefreie Form der intermodalen Güterlogistik überführen, leisten wir einen grossen Beitrag für eine ökologische Verkehrswende – und für die Weiterentwicklung der Transportgesellschaft für die nächsten 50 Jahre.
Roman Noack
Roman Noack ist CEO des Technologie- und Transportunternehmens Helrom. Noack hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Transportbranche und ist Experte für Nachhaltigkeit in der Transportlogistik.