3 Fragen, 3 Experten
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Wo lauert die grösste Gefahr, wenn es um Compliance im Einkauf geht?
Stefano Caldoro: Im Verhalten der eigenen Mitarbeiter. Typische Risiken sind kartellrechtliche Absprachen (unter anderem Boykotte), Interessenkonflikte (beispielsweise eine unsachgemässe Lieferantenauswahl), Korruption (zum Beispiel ungebührende Vorteile) und Nichteinhaltung ethischer Grundsätze wie die Inkaufnahme von Kinderarbeit. Verstösse können zu Reputationsschäden und zivil- und strafrechtlicher Haftung von Mitarbeitern und Unternehmen führen.
Marcel Locher: Die grösste Gefahr lauert aus Sicht des Handels in der Schwierigkeit, sich vom Hersteller des Produktes und vom Verarbeiter der Ware abzugrenzen. In den meisten Fällen besteht auch ein direkter Kontakt zwischen dem Hersteller und dem Verarbeiter. Der Vertriebsweg läuft aber über den Handel, der hier die wichtige Funktion der Distribution und der Logistik übernimmt. Es besteht die Gefahr von horizontalen oder vertikalen Absprachen, auch stufenübergreifend zwischen Hersteller und Verarbeiter.
Christian Dueblin: Das Problem in Sachen Compliance liegt darin, dass auch die Beschaffungsexperten in einem Unternehmen einem regelrechten Regulationstsunami ausgesetzt sind. Es wird von ihnen verlangt, dass sie grenzüberschreitend günstig beschaffen, dabei sollen sie aber keine der vielen Compliance-Regeln verletzen. Einkäuferinnen und Einkäufer müssen deshalb, gerade wenn es um die Auswahl und die Entwicklung von Lieferanten geht, darauf achten und dafür Sorge tragen, dass diese «compliant» sind.
Wie sind Risiken richtig einzuschätzen, und wie kann man ihnen vorbeugen?
Stefano Caldoro: Durch die Einrichtung eines Compliance-Management-Systems mit folgender Struktur: Identifikation und Bewertung geschäftsspezifischer Risiken; Einkaufsrichtlinien und Lieferantenkodex; Integration von Compliance-Prozessen wie Lieferantenmanagement, Vieraugenprinzip, Job-Rotation; Compliance-Organisation; laufende Schulungen; Berichterstattung inklusive Whistleblowing; interne Kontrollen; Sanktionen.
Marcel Locher: Ein Supply Chain Manager muss möglichst viel Expertenwissen zum Beispiel über einen guten Kontakt zu den Herstellern, aber auch über «neutrale Stellen» zusammentragen. Für Gross- und Fachhändler gehört diese Aufgabe zum Tagesgeschäft. Neben den logistischen Möglichkeiten, Verfügbarkeit, Just-in-Time, Ersatzbeschaffung usw. kann eine nachhaltige Handelsbeziehung bei der Minimierung der Risiken helfen.
Christian Dueblin: Compliance-Richtlinien müssen strikte befolgt, deren Einhaltung muss überwacht werden. Von grösster Wichtigkeit ist es, die Einkaufsabteilung auf praxisnahe und verständliche Weise zu schulen, bspw. mit E-Learnings oder massgeschneiderten Seminaren zu Themen wie Wettbewerbs- und Kartellrecht, um das Bewusstsein für Risiken, die lauern, zu schärfen. Damit schafft man eine Compliance-Kultur. Oft sind sich Mitarbeitende gar nicht im Klaren, dass schon die Einladung für ein einfaches Mittagessen ein Compliance-Problem darstellen kann.
Wo liegt der «Return on Compliance» für das Einkaufs- und Beschaffungswesen?
Stefano Caldoro: (a) Begrenzung der Haftungsrisiken; (b) Vermeidung von Kosten (Bussen, Drittansprüche); (c) Effizienzsteigerung (mit klaren Regeln handelt man schneller); (d) Vermeidung von Reputationsschäden und (e) Vorteile aus dem guten Ruf auf dem Markt, zum Beispiel bessere Finanzierungsmöglichkeiten dank Transparenz und Kontrolle, Gewinnung von guten Mitarbeitern, Sicherstellung langfristiger Geschäftsbeziehungen.
Marcel Locher: Der Return on Compliance liegt sowohl auf der Einkaufs- und Beschaffungsseite wie auch auf der Kunden- und Lieferantenseite. Eine transparente Handlungsweise führt auf allen Seiten zu Vertrauen und Verlässlichkeit, trägt zum Aufbau und Erhalt einer nachhaltigen Geschäftsbeziehung bei und nützt letztlich allen Partnern. Sie stellt die Versorgung sicher und erhält dennoch einen flexiblen Beschaffungsprozess.
Christian Dueblin: Hier steht es wie bei einer gut funktionierenden Rechtsabteilung in einem Unternehmen. Ist diese fit und Herrin über gewisse Risiken, kann sie Vertrauen schaffen, helfen, Marktvorteile zu sichern, und damit dazu beitragen, den Unternehmenswert zu steigern.
Die Experten
Stefano Caldoro
Dr. iur, Anwalt, Partner bei LANTER, Anwälte und Steuerberater, Zürich
Christian Dueblin
Lic. iur., EMBA HSG, Unternehmensjurist, Mitherausgeber des Praxishandbuchs Legal Operations Management, Dozent bei procure.ch
Marcel Locher
Bereichsleiter Haustechnik Pestalozzi + Co. AG, Dietikon, Fachkommissionspräsident
Schweiz. Stahl- und Haustechnikhandelsverband SSHV