11. Bodensee-Forum: auf dem Weg zum Einkauf 4.0

11. Bodensee-Forum: auf dem Weg zum Einkauf 4.0

Publiziert am Autor: Tobias Anslinger

Zum elften Mal trafen sich Einkäufer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum mittlerweile schon traditionellen Erfahrungsaustausch am Bodensee. Der Andrang war enorm, was auch zeigt, wie gross der Bedarf an Erfahrungsaustausch beim Thema Digitalisierung noch ist.

Die Organisatoren setzten das 11. Internationale Bodensee-Forum für Einkauf und Materialwirtschaft, das eine Gemeinschaftsveranstaltung der BME-Region Bodensee-Oberschwaben, dem Schweizerischen Fachverband für Einkauf und Supply Management (procure.ch) sowie dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) ist, unter das Leitthema «Einkauf 4.0 – wo stehen wir und wo geht die Reise hin?». Damit schloss das diesjährige Forum inhaltlich nahtlos an jenes im vergangenen Jahr an. Der rege Zuspruch zeigte, dass sich dies als richtige Entscheidung erwies.

Einkauf drängt in die Produktentwicklung

In seiner Keynote stimmte Florian C. Kleemann, Professor für Supply Chain Management an der Hochschule München, die Teilnehmer auf einen kompakt-informativen Nachmittag ein. Von der Industrie 4.0, in der Maschinen und Fabriken echtzeitfähig, intelligent sowie horizontal und vertikal miteinander vernetzt sind, leitete Kleemann die Herausforderungen für den Einkauf 4.0 ab. Denn ein Abgleich wesentlicher Digitalisierungsanwendungen mit den Kernprozessen des Einkaufs zeige hohe Überschneidungen. «Die Frage ist also, wie diese drei Voraussetzungen den Einkauf verändern», schlussfolgerte Kleemann. Folgt man den Ausführungen des Wissenschaftlers, ist die Antwort: grundlegend. So könne der Einkauf künftig etwa zu einem entscheidenden Treiber in der Produktentwicklung werden, «und zwar durch gezieltes Scouting und gezielte Integration von innovativen Beschaffungsobjekten», prophezeit Kleemann. Der Einkäufer entwickle künftig gemeinsam mit dem Lieferanten smarte Produkte, also jene, die die Voraussetzung dafür sind, dass Industrie 4.0 überhaupt funktionieren kann. Er wird so zum Rahmen- und Prozessmanager.

Gleichzeitig warnte Kleemann aber auch davor, Einkauf 4.0 als vermeintliche Prozessoptimierung mittels IT-Lösungen zu betrachten. «Wer schlechte Prozesse im Unternehmen hat, der hat hinterher einfach schlechte digitalisierte Prozesse.» Er machte deutlich, dass im Rahmen einer ernst zu nehmenden Digitalisierungsstrategie der Blick immer über Funktionsgrenzen im Unternehmen hinausgehen muss. Von Unternehmen wünsche er sich mehr Realismus in der Einschätzung ihres eigenen Digitalisierungs-Reifegrades sowie mehr Mut zum ersten Schritt. Diesen könne jeder machen – und sei es nur, um die Prozesse im Unternehmen einmal grundlegend zu durchleuchten. Die digitale Transformation beginnt lange vor dem Einsatz eines IT-Tools.

Digitalisierte Wischmops

Einen Werkstattbericht dieser Wandlung hin zu einem digitalisierten Unternehmen gab Simon Meinschad, Geschäftsführer der hollu Systemhygiene GmbH in Zirl/Tirol. Bis 2025 möchten Meinschad und sein Team den Transformationsprozess des Familienunternehmens mit seinen 400 Mitarbeitern abgeschlossen haben. Wer denke, Reinigung liesse sich nicht digitalisieren, liege falsch, begann er seine Ausführungen. Reinigungsmaschinen, die wissen, an welchen Tagen der Boden mit welchen Mitteln zu säubern ist und die sich selbstständig um die Wiederbefüllung der leeren Tanks kümmern; Wischmops mit eingebauten RFID-Chips, die signalisieren, wann der Bodenwischer getauscht werden muss, um einen konstant hohen Hygienestandard etwa in Krankenhäusern zu gewährleisten: All das sei nicht Zukunftsmusik, sondern bereits Realität. In Kürze wolle das Unternehmen eine App auf den Markt bringen, die mittels Bildern und Videos Schritt für Schritt zeigt, wie zum Beispiel ein Gebäude gemäss Kundenbedarf gereinigt werden muss. «Wir haben den kompletten Prozess der Lieferantenbefragung und -bewertung verändert und digital gemacht», erläuterte Meinschad. «Unsere Lieferanten müssen heute in der Lage sein, innovative und digitale Themen mit uns gemeinsam zu entwickeln.» Für viele Lieferanten sei das herausfordernd. Doch Meinschad ist überzeugt, damit den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

In sechs Jahren 34,7 Millionen Franken eingespart

Der Schweizer Lebensmitteldetailhandel ist traditionell eine sehr spezielle Branche. «Entweder man wächst als Migros-Kind oder als Coop-Kind auf», sagte Mauro Manacchini, Leiter strategische Beschaffungs-Services & Supply Chain Management bei Coop in Basel, und deutet damit die immer noch bestehende Vormachtstellung der beiden Schweizer Detailhandelsriesen an. Doch die Discounter holen auf, und die Platzhirsche müssen sich anstrengen – und verändern. Den Einkauf betrifft das im besonderen Mass, sind doch die Supply-Chain-Kosten und die Kosten der sogenannten Nichthandelswaren zwei der drei Hauptkostentreiber eines Handelsunternehmens.

Manacchini hatte eine ambitionierte Zielvorgabe bekommen: von 2009 bis 2015 jährlich 20 Millionen Franken einzusparen. Geschafft hat er 34,7 Millionen. Wie er das gemacht hat? «Durch eine neue Form der Lieferantenbewertung und -zusammenarbeit», erklärte Manacchini. Eine Lieferanten-Scorecard, gemeinsam festgelegte Ziele und monatliche Besprechungen der Lieferperformance ebneten den Weg für die weiteren Digitalisierungsbestrebungen des strategischen und operativen Einkaufs bei Coop. Predictive und Prescriptive Analytics, der Einsatz von Bots oder eine voll automatisierte Supply Chain, die eine friktionsfreie Kommunikation von der Verkaufsstelle bis zum Lieferanten ermöglicht, sind die Themen der nahen Zukunft. Doch er weiss: «Erst wenn wir die internen Hausaufgaben erledigt haben, ist es an der Zeit, sich mit der Evaluation geeigneter IT-Tools zur Digitalisierung der Einkaufsprozesse zu beschäftigen.»

Roadmap auf dem Weg zum Einkauf 4.0

Wie bei vielen anderen Unternehmen auch, haben sich bei Diehl Controls aus Wangen im Allgäu über die Jahre verschiedene Dateninseln mit jeweils eigenen Softwarelösungen für die unterschiedlichen Anforderungen des Einkaufs gebildet. Zwar beschäftige sich das Unternehmen schon länger mit der Digitalisierung, doch heute sei die Herangehensweise viel ganzheitlicher: Datenkonnektivität sowie Daten- und Prozessstandardisierung seien die Herausforderungen der Stunde, so Erich Graf, Vice President Corporate Procurement. Bei der Auswahl der künftigen SRM-Systemlösung entschied  man sich für einen Bottom-up-Ansatz: «Wir haben einen Berater zur Marktsondierung beauftragt, der uns dabei helfen soll, den richtigen Berater zu finden», sagte Graf. Dieser unterstützt nicht nur in der Erstellung, sondern auch in der Verfolgung der Digitalisierungs-Roadmap im Einkauf.

Save the date

Das 12. Bodensee-Forum wird voraussichtlich am 9. April 2019 stattfinden.

Tobias Anslinger

Der promovierte Betriebswirt ist Chefredakteur von «BIP - Best in Procurement», dem  Fachmagazin des Bundesverbandes für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), dem Fachverband für Einkäufer, Supply Chain Manager und Logistiker in Deutschland.