Soziale Verantwortung des Einkaufs – procure.ch

Soziale Verantwortung des Einkaufs

Publiziert am Autoren: Andreas Kannt, Pia Böhringer

Die Anpassungsfähigkeit an neue Herausforderungen ist der Schlüssel zu Erfolg und Resilienz im Einkauf.

Zur Wahrung der Menschenrechte und Umweltstandards in den Lieferketten kann und muss auch der Einkauf seinen Beitrag leisten. Dies bedarf jedoch einer fundamentalen Neuorientierung und stellt die Wandelbarkeit der Beschaffungsfunktion auf die Probe.

Bedarfsgerechte Beschaffung von Waren und Dienstleistungen zum wirtschaftlichsten Preis – so lautet die Leistungsbeschreibung für den Einkauf. Doch diese Beschreibung ist längst nicht mehr zeitgemäss. Der Einkauf spielt heute eine weitaus wichtigere Rolle für den Unternehmenserfolg, aber auch für die Gesellschaft. 
Einkaufsentscheidungen müssen einen massgeblichen Einfluss auf die Sozialverantwortung eines Unternehmens haben. Neben veränderten Kundenanforderungen wird dies auch aus gesetzlicher Sicht zunehmend unabdingbar, wie etwa das soziale deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).

Gleichzeitig hat der Einkauf die Macht, mittels seiner Nachfrage den Markt wirksam zu beeinflussen und damit die soziale und ökologische Entwicklung der Wirtschaft einzufordern. 

Dafür muss sich der Einkauf selbst innovieren, indem er seine Rollen, Verantwortung und Prozesse neu definiert.

Einkauf der Fraunhofer-Gesellschaft

Die Fraunhofer-Gesellschaft mit Sitz in Deutschland gehört zu den weltweit führenden Organisationen für anwendungsorientierte Forschung. Mit ihrer Fokussierung auf zukunftsrelevante Schlüsseltechnologien sowie auf die Verwertung der Ergebnisse in Wirtschaft und Industrie ist sie Wegweiser und Impulsgeber für innovative Entwicklung.

Das jährliche Beschaffungsvolumen der Fraunhofer-Gesellschaft und ihrer 76 Institute und Forschungseinrichtungen beläuft sich auf eine Milliarde Euro. Da Fraunhofer mehrheitlich öffentlich gefördert wird, ist der Einkauf bei der Beschaffung an das ­deutsche und europäische Vergaberecht ­gebunden. 

Die Nachfrage ist hochkomplex und äusserst breit gefächert. Dies resultiert aus der Vielfalt und Dynamik der Forschungsprojekte in den Instituten.  Der aktive Lieferantenstamm besteht aus rund 30 000 Lieferanten, wobei sich die Lieferantenbasis ständig wandelt. 

Der Fraunhofer-Einkauf richtet sich aktuell strategisch neu aus und setzt einen Schwerpunkt auf Umweltverträglichkeit und Lieferkettengesetztreue. Hauptziel ist es, den Beschaffungsprozess so zu gestalten, dass nachhaltig negative Umwelt- und soziale Auswirkungen in der Lieferkette unterbunden werden. 

Für einen Einkauf mit dieser Grössenordnung und Komplexität stellt solch eine Unternehmung eine grosse Herausforderung dar. 

Der Weg zum nachhaltigen Einkauf

Zu Beginn einer strategischen Neuorientierung gibt eine GAP-Analyse Aufschluss da­rüber, worin der «Gap» (englisch für Differenz) zwischen Status quo und dem gewünschten Soll-Zustand besteht. 

Bei diesem Abgleich stellte sich bei Fraunhofer heraus, dass es zur Erreichung eines nachhaltigen und verantwortungsvollen Einkaufs vielseitige Massnahmen bedarf, die an unterschiedlichen Stellen greifen. 

Der Massnahmenkatalog reicht von einer neuen Warengruppenstrategie über ein Risiko- und Lieferantenmanagement bis hin zu einem Mindset-Wandel und einem innovierten Leitbild. 

Die Warengruppenstrategie bietet den Einkäuferinnen und Einkäufern ein standardisiertes Regelwerk für nachhaltige Beschaffungspraktiken je Kategorie. Konkret soll sie aufzeigen, wie zum Beispiel Umweltmanagementsysteme, Lebenszykluskosten oder auch Gütesiegel in das Lieferantenauswahlverfahren zu integrieren sind. Daraus leitet sich ab, dass eine hohe Verfügbarkeit relevanter Informationen über die Umwelt- und Sozialverträglichkeit eines Produkts oder einer Dienstleistung während des gesamten Lebenszyklus eine wichtige Voraussetzung für die sorgfältige Auswahl von Lieferanten darstellt. 

Doch wie erhält man eine derartige Informationsdichte zu verhältnismässigem Aufwand für mehr als 160 000 Vergaben jährlich? Und, entscheidender noch, wie zieht man wertvolle Erkenntnisse daraus?

Hier führt langfristig kein Weg am Aufbau einer «Supplier Intelligence», also einer intelligenten Lieferantendatenverwaltung, vorbei. Grundlage dafür sollten weitestgehend automatisierte Softwarelösungen sein, die an das eigene ERP-System angebunden sind. 

Darüber hinaus wird sich die Rolle der Einkäuferinnen und Einkäufer in Richtung eines verantwortlichen Lieferantenmanagers entwickeln. 

Es ist offensichtlich, dass diese neue Beschaffungsmethode mit erheblichem Mehraufwand verbunden ist. Zur Erlangung der dafür notwendigen internen Unterstützung war es von grundlegender Bedeutung, ein Bewusstsein für die Thematik sowie dessen Interdependenzen zum Gesamterfolg der Organisation zu schaffen. Hierbei liefert das ab 2023 wirksame deutsche Lieferkettengesetz eine starke Argumentationsgrundlage. 

Drei Erkenntnisse

Im Laufe der Umsetzungsphase haben sich drei zentrale und universell gültige Faktoren herauskristallisiert, die bei einer erfolgreichen Neuausrichtung des Einkaufs Beachtung finden sollten: 

  1. Automatisierte, digitalisierte und standardisierte Prozesse sind unumgänglich, um von einem reaktiven und manuellen zu einem zukunftssicheren, proaktiven und resilienten Einkauf zu gelangen.
  2. Die Erzielung eines Umdenkens bei den Einkäuferinnen und Einkäufern, aber auch aller Bedarfsmelder, ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe. Hier muss eine intrinsische Motivation erzeugt werden, die einen Kulturwandel fördert. Dies verlangt Aufklärungsarbeit und eine Priorisierung auf Vorstandsebene.  
  3. Die Generierung von «Fast Wins» sollte neben langfristigen Zielen aktiv verfolgt werden, um erste Erfahrungen zu sammeln und eventuelle Kurskorrekturen einzuleiten. Pilotweise fordert Fraunhofer schon vor dem Inkrafttreten des LkSG dessen Einhaltung von seinen Bietern.

Das neue Leistungsverzeichnis für den Einkauf hat soziale und ökologische Verantwortung auf der Agenda und überschreibt ihm eine höhere strategische Bedeutung. Erfolgreich werden diejenigen sein, die am wandlungsfähigsten sind und die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – in Einklang bringen.

Andreas Kannt

Der Autor ist Leiter des Einkaufs der Fraunhofer-Gesellschaft. Der diplomierte Maschinenbau-­Ingenieur der Universität Stuttgart mit Promotion an der IFF in Magdeburg verantwortet dabei ein Einkaufsvolumen von einer Milliarde Euro. 

Pia Böhringer

Die Autorin absolvierte das zweisprachige Doppelabschlussprogramm BSc International Management an der ESB Business School in Reutlingen und ist strate­-
gische Referentin im Einkauf der Fraunhofer-Gesellschaft.