Von der Unmöglichkeit, nicht zu spekulieren
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Börsengehandelte Rohstoffe weisen in kurzen Zeitspannen enorme Preisschwankungen auf. Diese Volatilität zieht Zocker (also Spekulanten) an wie der Mist die Fliegen. Die Instrumente der Spekulation – Futures oder Optionen – sind reine Finanzinstrumente. Diese verstärken (unangenehme) Preisausschläge zusätzlich. Kein Wunder haben Spekulanten einen schlechten Ruf. Deshalb distanzieren sich rohstoffbeschaffende Unternehmen meist entschieden: «Wir spekulieren nicht», heisst es in der Einkaufsrichtlinie. So verständlich diese Direktive ist, sie beruht auf einem Denkfehler. Es ist gar nicht möglich, nicht zu spekulieren.
Steht ein Bauer vor der Frage, ob er seinen Acker mit Gerste oder Weizen bestellen soll, wird er die Kultur wählen, die den höheren Gewinn verspricht. Zu seinem Leidwesen kennt niemand die Preise in einem halben Jahr, wenn die Erntereife erreicht ist. Seine Wahl beruht also auf Spekulation.
Gleiches gilt für den Einkauf. Erwartet eine Einkaufsabteilung beispielsweise für die Zukunft steigende Alupreise, wird sie das Lager randvoll füllen. Erwartet sie sinkende Preise, beschafft sie bloss die unbedingt benötigte Menge.
Im Sommer 2016 wurde ein eindrücklicher Fall von Einkaufsspekulation bekannt: Chinesische Akteure haben Aluminium im Wert von 2 Milliarden Franken gekauft und im Freien gehortet. Sie haben damit in einem halben Jahr etwa 300 Millionen Franken Gewinn gemacht.
Selbstverständlich kann in der Einkaufsrichtlinie auf den Einsatz von spekulativen Finanzinstrumenten verzichtet werden. Viele Unternehmen verstehen jedoch unter «Nichtspekulieren» das Nichtbeschaffen strategischer Vorräte. Sie würden also im obigen Fall unabhängig von der Prognose nur die unbedingt benötigte Menge beschaffen. Steigen dann die Preise, hat das nichtspekulierende Unternehmen reales Geld verloren. Es ist also genau das passiert, was die «Nichtspekulierungsregel» vermeiden wollte. Starre Regeln sind daher nicht zielführend. Besser wird von Fall zu Fall entschieden und so das Wissen der Einkaufsprofis über die Beschaffungsmärkte ausgenutzt.
Roland Wirth
Der promovierte Volkswirtschaftler kennt die Bildungswelt aus unterschiedlichen Funktionen und ist als Dozent für Volkswirtschaftslehre am Puls der Wirtschaftspolitik. Er ist Geschäftsführer und Rektor der Kaderschule Zürich, welche die Anbieterin des PWA-Wirtschaftsprogramms und der Lernplattform elob ist.